Nur wenn Griechenland seinen aufgeblasenen und in vielen Fällen korrupten Staatsapparat verkleinert, kann es seine zerrütteten Finanzen sanieren. Doch wie glaubwürdig ist das Versprechen der Regierung, Stellen zu streichen? Vor kurzem hat sie noch eifrig weitere Staatsdiener angeheuert.
Es waren nur wenige Wochen bis zum Wahltag, als Setas Yanis eine Anweisung von der Spitze des griechischen Finanzministeriums erhielt. Im Eilverfahren seien mehr als 100 neue Beamte einzustellen. Die Namen bekamen Yanis und seine Kollegen des Rechnungshofes – in Griechenland dem Finanzminister unterstellt – gleich mitgeliefert. Die neuen Beamten wurden angeheuert: rechtzeitig, um bei der Wahl am 4. Oktober 2009 ihr Kreuz bei der zu diesem Zeitpunkt regierenden Partei Neue Demokratie machen zu können. In ganz Griechenland stellten die Regierenden in den Monaten vor der Wahl fast 30.000 neue Beamte ein. „So machen es alle Parteien – seit Jahrzehnten“, sagt Yanis, ein kräftiger Mann mit leuchtenden grünen Augen hinter der Metallbrille.
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Es gibt keine genauen Zahlen, wie viele Beamte, Zeitarbeiter und Angestellte verlustbringender Staatsunternehmen Griechenland bezahlt. Fest steht, dass es immer mehr geworden sind – und dass Griechenland sich diesen Apparat nicht leisten kann, wenn es seine zerrütteten Staatsfinanzen sanieren will. Der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zufolge ist die Zahl griechischer Staatsdiener seit 1999 von 861.000 bis 2008 auf 1.022.100 gewachsen. Fast jeder vierte arbeitende Grieche steht im Dienst des Staates. In Deutschland ist es jeder siebte.
Stephanos Manos hat das System von mehreren Seiten kennengelernt: als Direktor einer Lebensmittelkette, als Parlamentarier und als Minister für öffentliche Arbeiten, als Industrie- und auch als Finanzminister. Seit einigen Jahren ist er Politiker im Ruhestand. „Die griechische Bürokratie und die Staatsfirmen sind vielerorts grotesk überbesetzt und ineffizient. Das gilt von der Zentralbank bis zu Stromunternehmen“, sagt Manos in seinem Haus im Athener Nobelvorort Ekali, das mit Kamin und holzgetäfelter Bibliothek an einen englischen Landsitz erinnert.
Bei der staatlichen Eisenbahn OSE etwa ist zwar die Mitarbeiterzahl seit 2004 von 9200 auf 7000 gesunken – doch die Personalkosten sind wegen schnell gestiegener Löhne und Rentenverpflichtungen von 240 auf 440 Millionen Euro explodiert. Mittlerweile ist die Bahn mit 9,5 Milliarden Euro verschuldet – das entspricht vier Prozent der Wirtschaftsleistung Griechenlands. Auch Andreas Andrianopoulos, ein Veteran der griechischen Politik, hat in seiner Karriere allerlei Absurdes erlebt. „Im Norden Griechenlands gab es im 19. Jahrhundert den Copais-See. Der See ist lange ausgetrocknet. Die Behörde für ihn haben wir heute noch“, sagt der frühere Parlamentarier und Minister.
Dass Griechenland immer mehr Staatsdiener angesammelt hat, liegt an den Traditionen eines jahrhundertelang durch persönliche Bindungen geprägten Klientelstaats und am politischen System. Seit 1974 ein repressives Militärregime zusammenbrach, wechseln sich zwei Parteien ab: die konservativen Neue Demokraten und die Sozialisten der PASOK (Panhellenische Sozialistische Bewegung). Beide kämpfen nicht nur gegeneinander, sondern auch gegen Konkurrenten innerhalb der eigenen Partei.
Im Wahlkampf gibt es in jedem Wahlkreis nicht einen Kandidaten jeder Partei, sondern mehrere. Die Griechen machen bei ihren Favoriten ihr Kreuz. „Dafür will der Wähler eine Gegenleistung: etwa einen Job im Staatsdienst“, erklärt Andrianopoulos. „Also stellen diejenigen, deren Partei gerade an der Macht ist, neue Beamte ein. Kommt die andere Partei an die Macht, kann sie diese Beamten nicht nur nicht entlassen, sondern stellt selbst neue Beamte ein.“
Auch für viele junge Griechen ist der Staatsdienst höchstes Ziel. „Die Bezahlung ist ordentlich, du hast viele Privilegien und arbeitest nur bis zwei Uhr mittags“, fasst der 26 Jahre alte Ermis Katsampanis die Einstellung vieler Altersgenossen zusammen. Sonderleistungen für griechische Staatsdiener – der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung OECD zufolge mehr als 200 an der Zahl – reichen von Boni für echte oder erfundene Sonderschichten bis zu Freiflügen, einer gemessen an geringer Produktivität großzügigen Entlohnung und ebensolchen Rentenleistungen.
Sozialisten und Konservative bliesen den Staat gleichermaßen auf. Überbesetzung an der einen Stelle schließt nicht aus, dass anderswo Staatsdiener fehlen. Christos Papanastasis ist Vize-Chefpfleger im Krankenhaus am Omonia-Platz im Zentrum von Athen. 110 Krankenschwestern und Pfleger arbeiten oft sechs Tage in der Woche; manchmal zwei oder drei Schichten hintereinander. „Wir brauchen mindestens 40 zusätzliche Krankenschwestern und Pfleger“, sagt Papanastasis. Wegen des Personalmangels ist ein OP seit Jahren ebenso geschlossen wie eine Abteilung für Herzkranke.
Trotz allen Sparens will Finanzminister Papakonstantinou Geld für „dringend benötigte Krankenschwestern und Lehrer“ bereitstellen. Die Tücke steckt im Detail: Schon bei früheren Sparrunden waren Lehrer vom generellen Einstellungsstopp ausgenommen. Deshalb stellten Griechenlands Bildungsbürokraten „Lehrer vordergründig für den Unterricht ein – und kommandierten sie in die Verwaltung ab“, schildert Dimitris Peppes von der Gewerkschaft für Lehrer weiterführender Schulen. „Im Erziehungsministerium etwa sind 1100 Männer und Frauen – 60 Prozent aller Ministeriumsbeamten – eigentlich als Lehrer eingestellt.“
Umetikettierte Lehrer sind nicht der einzige Trick des griechischen Staatsapparates. Bei der staatlichen Bauernpensionskasse ist an diesem Februarnachmittag längst Feierabend. Neben dem Getränkeautomaten teilen sich zwei Frauen und ein Mann Kaffee und Zigaretten. Dina Rovithaki, 40, Christina Fakos, 30 und der 43 Jahre alte Fountoulis Lykourgos kennen sich seit viereinhalb Jahren. Jetzt wollen sie den Staat mit einer Klage zwingen, sie endlich einzustellen.
Rovithaki fand als geschiedene Mutter zweier Kinder lange keinen Job: Arbeitgeber scheuten die höheren Kosten und strengen Arbeitsschutzbestimmungen. Jahrelang schlug sich Rovithaki als Kellnerin in Nachtclubs durch. Fakos halfen auch zwei Diplome in Soziologie und Betriebswirtschaft und ein Masterabschluss nicht, einen Job zu finden. „Wenn ich überhaupt zum Vorstellungsgespräch vorgeladen wurde, sollte ich unterschreiben, dass ich niemals heiraten oder Kinder bekommen würde.“ Auch der studierte Volkswirt Fountoulis fand nur Arbeit als Verkäufer.
Im Herbst 2005 trafen sich die drei bei der Bauernpensionskasse – in einem von der EU bezahlten Praktikantenprogramm. Die angeblichen Praktikanten erledigten dieselbe Verwaltungsarbeit wie die Mitarbeiter mit festem Job, für 25 Euro am Tag, ohne Urlaub oder Lohn im Krankheitsfall. Seit Auslaufen des Programms bezahlt die Pensionskasse Rovithaki, Fakos und Lykourgos, allerdings nur mit befristeten Verträgen. „Von 700 Mitarbeitern der Bauernpensionskasse sind 283 angebliche Praktikanten“, sagt Rovithaki. Ähnliche Scheinpraktikanten und Zeitkräfte gibt es auch in vielen anderen Dienststellen. Finanzminister George Papakonstantinou bezifferte sie gegenüber der „Welt am Sonntag“ auf mehr als 100.000.
Dauerpraktikantin Rovithaki und ihren Kollegen ist klar, dass nicht nur ihre Chancen auf Daueranstellung im Staatsdienst eines fast bankrotten Landes schlecht stehen. „Die Regierung wird uns als erste opfern, damit sie gegenüber der EU behaupten kann, dass sie die Zahl der Beamten kürzt. Dabei wird es nur uns treffen – die Schwächsten ohne Rechte.“ In der Tat sagt Finanzminister Papakonstantinou der „Welt am Sonntag“: „Wir werden 2010 bis zu einem Drittel von 100.000 Zeitverträgen beenden.“
Als weitere Sparmaßnahme will Papakonstantinou allen Beamten das Gehalt kürzen, um vier Prozent im Durchschnitt. Außer für Lehrer und Krankenschwestern gilt in diesem Jahr ein Einstellungsstopp. Ab 2011 soll für fünf in Pension gehende Beamte nur ein neuer eingestellt werden. Kenner des Systems wie die Ex-Minister Manos und Andrianopoulos bezweifeln, dass solche Maßnahmen ausreichen, um die Staatsfinanzen zu sanieren. „Wir haben in den letzten Jahrzehnten oft von Einstellungsstopps gehört“, sagt Manos. „Sie wurden immer aufgehoben oder umgangen.“Dabei kostet die Bürokratie, im internationalen Vergleich ebenso riesig wie ineffizient, Athen schon jetzt gut die Hälfte des Staatshaushalts – und das, bevor steigende Rentnerzahlen in kommenden Jahren die Ausgaben weiter in die Höhe treiben. Die wuchernde Bürokratie frisst nicht nur jeden finanziellen Spielraum des Staates auf: Sie verhindert auch das Gedeihen der privaten Wirtschaft.
Vassilis Masselos, 43, residiert mit seiner Firma Nota im alten Geschäftsviertel von Athen. Das Vier-Etagen-Haus ist ein schmuckloser Betonbau, wie so viele in der Athener Innenstadt. Aber vom Dach hat Unternehmer Masselos freien Blick auf die Akropolis. Masselos’ Eltern haben Nota Anfang der 60er-Jahre aufgebaut: als Produzenten luxuriöser Frauendessous und Freizeitkleider, mit heute immerhin 16 eigenen Geschäften in Griechenland.
„Das Geschäft ist immer schwieriger geworden – vor allem wegen der überbordenden Bürokratie, die Geschäftsleuten die Luft nimmt“, sagt Masselos. Löhne und Gehälter seien in Griechenland schneller gewachsen als die Produktivität; dazu seien die Arbeitsschutzgesetze extrem rigide. „Früher hatten wir unsere gesamte Produktion in Griechenland – heute nur noch Design, Verwaltung und die Shops. Alle Arbeitsplätze der Produktion mussten wir nach Ungarn verlagern – sonst hätten uns die Kosten in Griechenland das Genick gebrochen
Masselos ist mit seiner Erfahrung nicht allein. Im neuen Geschäftsklima-Index 2010 („Doing Business 2010“) stuft die Weltbank Griechenland von 183 Ländern auf Platz 109 ein. In der Kategorie „Eröffnung eines neuen Geschäftes“ oder beim Arbeitsrecht kommt Griechenland nicht einmal unter die ersten 140. Während Unternehmer in vorbildlichen Ländern wie Dänemark oder Neuseeland eine schlichte Prozedur durchlaufen und ein Geschäft innerhalb eines Tages anmelden können, brauchen sie in Griechenland 15 Papiere von ebenso vielen Behörden: Papierkrieg, der der Weltbank zufolge 19 Tage in Anspruch nimmt – und Unternehmer halten diese Angaben noch für weit untertrieben.
Denn die Weltbank erfasst nur offizielle Prozeduren und die legale Wirtschaft. Der Umfang der Schattenwirtschaft umfasst je nach Schätzung 25 bis 40 Prozent der gesamten griechischen Wirtschaft. Möglich ist das durch massenhafte Steuerhinterziehung und ebenso weit verbreitete Korruption. Etliche griechische Beamte kassieren nicht nur vom Staat, sondern ein zweites Mal auch unterm Tisch. Viele Beamte verlangen selbst für Routineleistungen der Verwaltung Schmiergeld: von der Baugenehmigung über die Firmeneröffnung bis zum neuen Fahrzeugschein. Die griechische Abteilung von Transparency International (TI) befragt jedes Jahr 6000 Bürger. Das erschreckende Ergebnis: Knapp ein Fünftel zahlt Bestechungsgeld.
TI-Chef Konstantin Bakouris, ein vornehmer Herr mit gefaltetem Einstecktuch in der Brusttasche, hat jahrzehntelang für große US-Unternehmen in der Schweiz und Deutschland gearbeitet. „Die griechische Wirtschaft fällt jedes Jahr weiter zurück, die Korruption steigt von Jahr zu Jahr“, stellt er fest. „Dabei erfassen wir bei unserer Umfrage und der darauf folgenden Hochrechnung nur die kleine Korruption unter Beteiligung von Privatleuten. Die große Korruption auf Staats- oder Unternehmensebene wird von uns gar nicht erfasst.“ Schon die „kleine Korruption“ ist freilich beachtlich: Das durchschnittliche Bestechungsgeld macht laut TI über 1350 Euro aus.
Es kann aber auch wesentlich mehr sein – beispielsweise, wenn der Steuerbeamte zur Betriebsprüfung kommt. Nota-Chef Masselos beschloss 2007, alte Ware vergangener Kollektionen zu vernichten. Abzuschreibender Wert: 75.000 Euro. Der Beschluss wurde, wie die Bestimmungen vorsehen, schriftlich festgehalten, ein offizieller Lieferschein an die Müllabfuhr von Athen ausgestellt. Doch der Steuerbeamte, der vor ein paar Monaten zur Betriebsprüfung anrückte, forderte auch einen Stempel der Stadt, der die Aufnahme des Textilmülls bestätigte. „Ein solcher Stempel ist in keinem Gesetz, keinem Erlass vorgeschrieben“, sagt Masselos. „Es geht schlicht um Bestechungsgeld für den Steuerbescheid – doch Bestechung lehne ich ab. Wenn ich mit meinem Einspruch keinen Erfolg habe, soll ich nur wegen dieses absurden Vorfalls 40.000 Euro Steuern und Strafen nachzahlen.“
Nicht nur die hohe Zahl an Vorschriften, Behörden und Beamten ermuntert die griechische Korruption. Christos Papanastasis etwa, der Vize-Chefpfleger im Krankenhaus am Omonia-Platz, verdient trotz 23 Dienstjahren und seiner leitenden Position einschließlich aller Zulagen nur 1600 Euro. Vergleichsweise geringe Gehälter „zwingen viele Beamte zu Korruption“, sagt sogar Bakouris von Transparency International.
Bereits heute gehören Krankenhäuser zu den korruptesten Bereichen der griechischen Staates: Schon für die Aufnahme ist oft Bestechungsgeld erforderlich, auch Operationen oder Geburten kosten den Patienten extra – bis zu mehreren Tausend Euro. „Anstatt wenige Staatsdiener gut zu bezahlen, werden in Griechenland viele Beamte schlecht bezahlt“, sagt TI-Chef Bakouris. „Wenn die Regierung jetzt pauschal Beamtengehälter senkt, statt endlich Leute zu entlassen, verstärkt sie die Korruption nur.“
Auch Ex-Finanzminister Manos hält ein Durchgreifen im Staatsapparat für unverzichtbar, wenn Griechenland seine Probleme lösen will. „Solange die Regierung nicht zugibt, dass wir viel zu viele Staatsdiener haben und etliche entlassen müssen, ist von echten Reformen keine Rede“, sagt Manos. Dafür aber ist ein Tabubruch erforderlich, vor dem Politiker nicht nur in Griechenland zurückschrecken. „Der Lackmustest der neuen Regierung wird, ob sie die in der Verfassung verankerte Unkündbarkeit von Beamten abschafft und mit Entlassungen beginnt“, sagt der Wirtschaftsjournalist Takis Michas.
Doch an Entlassungen von Beamten traut sich die seit Oktober amtierende Regierung nicht einmal rhetorisch heran. Wer wissen will, warum, kann zu Giannis Panagopoulos gehen. Oder auch zu Ilias Iliopoulos. Beide sind Führer der beiden größten Gewerkschaften Griechenlands. Seit Wochen organisieren sie ihre Mitglieder zu Proteststreiks gegen geplante Sparmaßnahmen, zuletzt beim Generalstreik am vergangenen Mittwoch. Dabei ist von Entlassungen noch gar keine Rede – nur von Gehaltskürzungen für alle.
Ilias Iliopoulos ist Generalsekretär der Beamtengewerkschaft Adedy mit einer halben Million Mitglieder. Links neben seinem Schreibtisch fällt der Blick durchs Fenster auf eine prächtige Kirche, rechts auf ein Plakat mit dem Aufruf zum Generalstreik am 24. Februar. Es zeigt einen Arbeiter mit einem schweren Stein auf dem Rücken und den Slogan „Werden die Arbeiter wieder die Zeche zahlen?“.
Iliopoulos, ein eleganter Mann im schwarzen Rollkragenpullover, hält Zahlen über einen aufgeblasenen öffentlichen Sektor „für ein Märchen. Diejenigen, die solche Behauptungen in die Welt setzen, sind Spekulanten und Profiteure, die Griechenland über die Klippe drücken wollen“. Die sitzen in Iliopoulos’ Welt vor allem in den USA, aber auch die EU trägt für ihn Mitschuld am griechischen Finanzelend: weil sie die griechischen Grenzen zum Erzfeind Türkei nicht als EU-Außengrenze verteidige und Athen so zum Kauf teurer, den Staatshaushalt ruinierender Waffen zwinge. Schlicht ist Iliopoulos’ Rezept für den Weg aus der Krise: Profiteuren und Spekulanten inner- und außerhalb Griechenlands das Handwerk legen und einen Maximalverdienst von 3000 Euro für alle Griechen festlegen.
Giannis Panagopoulos ist Vorsitzender der Gewerkschaft GSEE – mit einer Million Mitgliedern sowohl aus der Privatwirtschaft wie aus Staatsunternehmen Griechenlands größte Gewerkschaft. Panagopoulos ist nicht nur Gewerkschaftsboss, sondern auch Vorstandsmitglied der nun wieder regierenden Sozialisten. Vor allem unter seinem ebenso charismatischen wie populistischen Führer Andreas Papandreou, dem Vater des heutigen Regierungschefs, trommelten die griechischen Sozialisten gegen ausländische Verschwörer – ein unseliges, von vielen Griechen bis heute gepflegtes Erbe.
Und so sieht auch Panagopoulos nicht die Griechen selbst, sondern „Wirtschaftsspekulanten und Profiteure“ als Hauptverantwortliche der Krise. Jede Regierung in Europa, jede amerikanische Großbank habe doch gewusst, dass das Loch im Haushalt größer war als zugegeben, „und sie haben uns trotzdem Geld geliehen“. Von Entlassungen hält der Gewerkschaftsboss nichts; auch ein höheres Rentenalter wäre höchstens für „ein paar Bürokraten oder Polizisten sinnvoll“.
Griechenland brauche keine Sparmaßnahmen, wie sie jetzt etwa die EU von Athen fordere und die Krise noch verschärften, sondern „neue Investitionen für Produktion und Entwicklung“. So hätten es ja die Sozialisten auch im Wahlkampf versprochen. „Jetzt treten sie unter dem Druck internationaler Spekulanten den Rückzug an.“ Panagopoulos’ kann den Widerstand gegen den Sparkurs nicht nur mit Streiks organisieren – er macht schließlich auch als Mitglied im Parteivorstand der Sozialisten Politik.
In der vergangenen Woche legten Panagopoulos und Iliopoulos zusammen mit Tausenden weiteren Staatsdienern Athen mit einem Generalstreik lahm, zum zweiten Mal innerhalb von zwei Wochen. Auch Setas Yanis, der Beamte des Rechnungshofes, der im Wahlkampf den Befehl zur Einstellung neuer Beamte bekam, hat zusammen mit Kollegen gegen die Sparvorschläge seines Vorgesetzten, des Finanzministers, gestreikt. Von seinen 52 Jahren hat er die Hälfte im Dienst des Rechnungshofes verbracht und sich zu einem Gehalt von immerhin 2200 Euro emporgedient. Mehr als die Hälfte davon braucht er, um einen Kredit abzuzahlen, mit dem er vor zehn Jahren sein Haus gekauft hat. „Uns soll ja nicht nur das Gehalt, sondern auch die Zuschläge gekürzt werden. Dann kann ich den Kredit nicht mehr bedienen. Ich verliere entweder mein Haus an die Bank, oder ich muss hungern.“ Im gleichen Atemzug gibt Yanis freilich zu: „So wie bisher kann es in Griechenland nicht weitergehen. Manche Abteilungen sind drei- bis vierfach überbesetzt.“
Ähnlich zerrissen sind viele Griechen. Wird in Umfragen nach konkreten Sparmaßnahmen gefragt – etwa nach höheren Benzinsteuern oder einem höheren Rentenalter – ist die Mehrheit dagegen. Gleichzeitig ist die Unterstützung für Streikende in Griechenland geringer, als Fernsehbilder über geschlossene U-Bahnen und protestierende Beamte suggerieren.
In Athen nahmen am ersten Generalstreik am 10. Februar gerade einmal 6000 Streikende teil, am Mittwoch vergangener Woche waren es 20.000. Das ist nicht wenig, aber es ist auch kein Volksaufstand. Schon Anfang des Jahres fiel ein drei Wochen dauernder Streik mit Straßenblockaden griechischer Bauern nach drei Wochen in sich zusammen – erstmals gab die Regierung den Forderungen der Streikenden nicht nach. Einer Umfrage der Zeitung „Ethnos“ zufolge sind 76 Prozent der Griechen gegen Streiks, solange die Wirtschaftskrise nicht beendet ist.
Ilias Capodistrias sitzt am Syntagma-Platz im Zentrum von Athen, dem Schauplatz aller großen Streikkundgebungen. Capodistrias ist Seemann und hat sein Leben lang die Sozialisten gewählt. Längst reicht die Krise bis in seine Familie hinein. Sohn Theodor ist vor fünf Monaten von einer Möbelfabrik in Athen entlassen worden, eine neue Arbeit mitten in der Krise ist seither nicht in Sicht. „Ich bin links, aber ich bin gegen all diese Streiks. Mit denen schaden wir uns mitten in der Krise doch nur selbst“, sagt er. Dass die Regierung sparen will, hält er für richtig, auch wenn es wehtut. Und auch mit den Slogans über ausländische Spekulanten kann Capodistrias recht wenig anfangen. „Es wird Zeit, dass wir Griechen begreifen, dass wir selbst verantwortlich sind und für unsere Fehler zahlen müssen. Auch wenn das schmerzhaft für uns wird.“
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